Design & Praxis, Bildbearbeitung

Bildstil und Bildsprache - einfach bessere Bilder

02.09.2019

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Fotografie - Bildstil und Bildsprache - einfach bessere Bilder

Immer wieder hört oder liest man von der Bildsprache. In Fotografenkreisen werden gar höchste Erwartungen an die Ausdrucksmöglichkeit der eigenen Bilder gestellt. Ist ein Bild zu vergleichen mit einem Roman, einem Theaterstück oder einer Klaviersonate?

Um dem Wesen der fotografischen Bilder auf die Spur zu kommen, sollte man auch Bilder, die der bildenden Kunst zugeordnet werden, mit einschliessen. Wir haben die Bilder im Kopf. Woher sie stammen, ist einmal nebensächlich. Was von einer Reise übrig bleibt, sind Erinnerungen, wir tragen die eigene Vergangenheit im Kopf herum. Auch Fotografi en sind Speichermöglichkeiten, sollte die Erinnerung einmal verblassen. Aber haben Bilder eine Sprache? Was meint man damit?

Bildsprache-1Um Dinge zu erklären und zu beschreiben, bedienen wir uns der Sprache. Wie ein Wein schmeckt, versuchen uns Vinologen mittels Sprache zu erklären: volle Nase, Anleihen von Vanille, ein Hauch von schwarzem Pfeffer … Wie ein Parfüm riecht, wie eine Tanzgruppe performt, wie ein Klavierkonzert tönt, erklären uns Fachleute mit einer ganz eigenen Sprache. Sie bedienen sich der Metapher, um uns an ihrer Expertise teilhaben zu lassen. So auch in der Kunstgalerie: Kuratoren wissen ganz genau zu erklären, was auf dem Bild zu sehen ist und wie es zu deuten sei. Steckt da ein Grundlagenirrtum dahinter?

Beim Text sind wir uns alle einig: Ein anspruchsvoller Roman ist eine Geschichte, in der vordergründig eine Handlung spielt. Er kann «zwischen den Zeilen» sehr wohl gesellschaftskritisch sein oder in eine ganz andere Richtung deuten. Der Roman setzt sich zusammen aus Wörtern, Sätzen, Grammatik und Syntax, aus Abschnitten und Kapiteln, aus Prolog und Epilog. Nach dreihundert Seiten und gefühlten fünfzig Stunden der Verinnerlichung haben wirs dann begriff en. Im Kopf entstehen Bilder dieser Erzählkunst.

Das fotografi sche  wird nicht fünfzig Stunden betrachtet – es kann deshalb niemals die gleichen Ansprüche erfüllen wie der Roman. Ein Bild «erzählt», wenn überhaupt, in Sekundenbruchteilen eine andere Art Geschichte. Die Ingredienzen des Bildes sind aber durchaus vergleichbar: Es sind die fotografi erten Inhalte, die auf dem Bild zu sehen sind. Heruntergebrochen: Figuren und Farben, die Silben, Wörtern und Sätzen entsprechen. Die Bildkomposition wird mit fotografi schen Stilmitteln erreicht, die im Text dem Satzbau (Syntax) entsprechen. In diesem Vergleich entspricht die Grammatik beim Text den Regeln der Gestaltgesetze im Bild.

Bildsprache hat etwas mit Erkennbarkeit zu tun. Erkennbarkeit heisst gleichzeitig Wiedererkennbarkeit – das Bild entsteht im Gehirn. Daraus folgt, dass Bildsprache aus mehreren Bildern besteht, die eine Beziehung zueinander aufweisen. In Unternehmen werden so ganze Bildwelten komponiert, die aus Formsprache und Farbsprache bestehen. Ich unterscheide zwischen «Bildstil», den ein Fotograf aktiv mit den fotografi schen Prozessschritten bestimmen kann, und «Bildsprache». Eine eigene Bildsprache kann man nicht entwickeln, weil sie beim Empfänger erst entsteht. Die fotografi schen Stilmittel führen zur Bildsprache. Es ist völlig klar, dass jedes Bild etwas zu Ausdruck bringt, ein Stück Bildsprache enthält. So wie ein einzelner Geruch oder ein Klang im Hirn zu einer Erinnerung führt. Bei einem Trompetenstoss werden die Tonlage, die Lautstärke und die Länge variiert, daraus ergeben sich bestimmte «Klangbilder». Der Musiker geht davon aus, dass er mit seiner Intonierung (Stilmittel) Gefühle hervorzaubern kann. Auch die Grafi kerin, der Polygraf, die Fotografi n und der Kameramann wissen, mit welchen Motiven und Stilmitteln Emotionen beim Empfänger wachgekitzelt werden. Eine Schwarz-Weiss-Aufnahme wirkt authentisch, helle farbige Töne wirken leicht und fröhlich. Rot wirkt nah und aggressiv, Blau eher kühl und entfernt. Selbstverständlich sind es auch die Motive selbst, die begeistern: Babys, kleine Tiere, sexuelle Motive, Beziehungen, besondere Augenblicke. Foodporn, Selfies oder gewöhnliche Sachaufnahmen gehören eher nicht dazu. Um beim Bild-Betrachten Emotionen zu entwickeln, braucht es Empathie. Es gibt nun mal die hartgesottenen Gefühlskalten, die haben noch nie bei einem Film ein Tränchen verdrückt. Filme oder Musik sind aus eigener Erfahrung besser in der Lage, Emotionen zu erzeugen als Fotografie oder bildende Kunst. Auf der anderen Seite gibt es Personen, die reagieren überemotional. Wer nun wie auf ein bestimmtes Bild reagiert, ist vielleicht so vage wie die Diskussion um ein beliebiges neues Design. Es wird immer Likes und Deslikes geben.

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Das Bilder-Betrachten braucht auch grundsätzliches Interesse und etwas Zeit. So wie heute Bildchen auf dem Handy durchgewischt werden, kann keine Emotion entstehen, nicht einmal Erkenntnis. Das Sehen ist kein Regelwerk, das für alle gleichermassen gilt. Sehen ist höchst individuell – paradoxerweise sind wir aber auch gleichartig konditioniert. In diesem Sinn kann eine Fotografie bei vielen Menschen das Gleiche bedeuten, sie sehen auf dem Bild das Gleiche. Wie sie es aber deuten und welche Gefühle dabei wachgekitzelt werden, kann individuell sehr stark abweichen. Die persönliche Entwicklung, das soziale Umfeld oder die Betroffenheit spielen dabei eine grosse Rolle.

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Wer «bessere Bilder» machen will, sollte sich über den objektiven Geschmack orientieren. Wenn eine Mehrheit das Bild gut findet, dann ist es objektiv gut. Es sind die Gestaltgesetze der Formenlehre, die den Bildaufbau bestimmen: Figur-Grund-Gesetz, Gesetz der Ähnlichkeit, Gesetz der Prägnanz, Gesetz der durchgezogenen Linie und weitere. Dazu gesellen sich fotografische Stilmittel: Andersartigkeit, der überraschende Moment, die Bildstimmung. Selbstredend ist es gestattet, entgegen der öffentlichen Meinung, eine abweichende persönliche Haltung zu vertreten.

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Quelle / Autor: Ralf Turtschi
Thema: Design & Praxis
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