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Hausschriften machen Marken

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27.07.2020

Ausgefeilte Brands bestehen aus verschiedenen Ingredienzen. Die Schrift ist der weit wichtigste Kommunikationsträger, werden doch Geschäfte fast ausschliesslich über die Schrift abgewickelt. Was trägt sie zum Image bei?

Ralf Turtschi Als Hausschriften werden Fonts bezeichnet, die ein Unternehmen verwendet, um die Identität gegen innen und aussen zu festigen. Markenidentität entsteht im Gehirn durch Wiederholung. Einprägsam ist nicht in erster Linie, was originell ist, sondern was häufig gesehen wird. So kommt es, dass hässliche wie grossartige Logos, Bilder, Schriften oder Farben gleichermassen als Brand aufgenommen werden.
Die Wahrnehmung von Schrift als Imageträger erfolgt vor allem durch die Titelgebung. Erst ab einer bestimmen Grösse wird die Form und die Farbe einer Schrift als solche überhaupt rezipiert. Ein gutes Beispiel liefern Nivea und Salt, die oben dargestellt sind. Die Differenzierung zu Mitbewerbern und die Unverwechselbarkeit des Fonts zeichnet diese beiden Marken aus. Nivea operiert seit zig Jahren mit der Nivea Sans, Salt ist mit der Superior Title Black noch nicht so lange auf dem Markt. Die hat ein Manko: der Gedankenstrich ist im Verhältnis zum Punkt viel zu dünn, Preise sehen damit ganz schlecht aus: Es wäre ja ein Leichtes, im Font etwas dickere Querstriche zu integrieren. Aber eben, man muss erst drauf kommen!

preis

In Lesegrössen kann die Schrift ihre Designmerkmale nicht ausspielen, hier kommt es eher auf die Leserlichkeit an, wie ich sie in der Broschüre Leserlichkeit beschrieben habe (im Publisher-Shop erhältlich). Selbstverständlich sind bei der Schriftwahl noch andere Faktoren zu berücksichtigen wie Character set, Anzahl Sprachen, OpenType-Features, Webfonts, benützbarkeit in der Office-Umgebung usw.

Massgeschneidert
Starke Marken basieren häufig auf Exklusiv-Schriften, die sie für sich selbst zeichnen und digitalisieren lassen. Diese Fonts tragen dann häufig auch den eigenen Namen, zum Beispiel Audi-Type, SRF SSR Type oder Xerox Sans. Andere Unternehmen adaptierenSchriften geringfügig und ändern den Namen: die BMW-Type ist nichts anderes als eine mutierte Helvetica (1957) und die Credit Suisse Type ist ein Klon der Akzidenz-Grotesk (1900). Die Anmutung ist und bleibt bleibt ältlich.

Einheitsbrei
Es gibt zu denken, wie wenig Schriftverständnis heute vorhanden ist. Weshalb die UBS, alle Kantonalbanken und die Raiffeisenbanken Frutiger als ihre Hausschrift auserkoren haben, nachdem schon die Post und auch DHL auf der Frutiger basieren, bleit ein Rätsel. Überhaupt scheint Frutiger neben Helvetica der unangefochtene Leader zu sein. Bei allem Respekt: Frutiger atmet den Geist der 1970er. Helvetica ist aus meiner Sicht nicht leserlich und mit Jahrgang 1957 völlig aus der Zeit gefallen. Sich mit Frutiger oder Helvetica zu differenzieren oder als unverwechselbar zu positionieren, geht sicherlich nicht.
Ein Wort noch zur Helvetica. Oft wird sie viel zu eng gesetzt, vor allem in Light ist sie als Grundschrift ein No-go. Der Sehbehindertenverband hat sich bitterlich darüber beschwert, dass die Verkehrsbetriebe der Stadt Zürich bei der Beschilderung der Haltestellen von Helvetica Bold auf Regular umstellten. Die Regular sei jetzt schlechter erkennbar. Die VBZ haben nichts geändert. Warum auch? Die SBB sind damit schon jahrzehntelang unterwegs. Zum Glück sind sie beim Interieur nicht stehengeblieben.
Helvetica scheint vielen Beamtenköpfen eingraviert zu sein. Nebst veralteten Glyphen stehen die Zeichen auch zu nahe beisammen, was sie vor allem auf dem Screen unleserlich macht. Die Helvetica wird auch von den Kantonen Zürich und Bern verwendet. Der Schnitt Black sieht in den Stellenanzeigen oder Abstimmungsunterlagen fürchterlich klobig aus. Bei Mac Donald’s passt der Duktus: Akzidenz-Grotesk, ganz, ganz fett. , der Flughafen Zürich die Akzidenz-Grotesk. Warum so veraltet? Schon Adrian Frutiger hat 1976 mit der Frutiger aufgezeigt, wie Schriften in der Signaletik beschaffen sein müssen. Wenigstens sind die Schweizer Autobahnen mit Astra Frutiger ausgeschildert.
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Erstaunlich auch, dass sich direkt konkurrenzierende Marken wie BP und Esso beide die Univers benützen, oder Post und DHL die Frutiger. Erstaunlich auch, dass die Akzidenz-Grotesk sich beim Flughafen Zürich, beim Kanton Thurgau und bei Mac Donald’s einnisten konnte: so völlig unterschiedliche Marken!
Apple benutzt als Hausschrift die Myriad, für Apple Mac OS X die Neue Helvetica, ziemlich unverständlich. Android OS kommt in den «freien» Fonts Roboto, Droid Sans und Droid Serif daher, keine schlechte Wahl. Microsoft hat als neue Hausschrift die Segoe UI auserkoren, damit werden die Benutzeroberflächen bei Windows ausstaffiert.

gestellt

Markenführung
Corporate Font ist ein kompliziertes Thema, weil es nebst Design auch um Technik oder um Logistik geht. Hinter vollmundigen englischen Terminologien wie «Banding» kommt bei Agenturen und Marketingabteilungen aber oft nur heisse Luft heraus, wenn es um die Differenzierung mittels Schriften geht. Die Schweiz scheint nach Frutiger in einer Art Entwicklungsmoratorium. Ich fordere Designschulen wie die Zürcher Hochschule für Künste auf, sich mehr Richtung Heute zu bewegen. Im Kleid der Helvetica haben ihre Professoren keinen Anspruch auf eine innovative Themenführerschaft. Im Gegenteil, ganze Generationen von Gestaltern verkümmern.

Ralf Turtschi ist Inhaber der R. Turtschi AG, visuelle Kommunikation, 8800 Thalwil. Der Autor zahlreicher Bücher und Fachpublikationen grafischer und typografischer Themen fotografiert aus Leidenschaft. Er ist als Dozent beim zB. Zentrum Bildung, Baden, tätig, wo er beim Diplomlehrgang Fotografie die Fotobuchgestaltung lehrt und an der Höheren Fachschule für Fotografie den «Designblock» unterrichtet. Kontakt: agenturtschi.ch, turtschi@agenturtschi.ch, T +41 43 388 50 00.

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